Bloß keine Panik!

Flugangst, Spinnen und andere Katastrophen

Bis gestern hatte Annika einen herrlichen Urlaub in Lissabon mit ihrem Mann. Doch damit ist es nun schlagartig vorbei. Sie muss heute nach Hamburg zurückfliegen und spürt schon jetzt die Panik in ihr aufsteigen. Annika leidet unter massiver Flugangst. Seit Jahren. Die Stunden vor jedem Abflug sind für sie der blanke Horror „Ich frage mich dann immer, ob der Pilot vielleicht die Nacht durchgefeiert hat, oder die Landebahn rutschig wird oder das Wetter sich verschlechtert. Ich denke immer, ich werde nie zuhause ankommen.“ Ihr Mann versucht sie zu beruhigen, doch mit der Angst ist Annika letztlich allein. Während des Abflugs krallt sie sich in die Hände ihres Mannes, die schließt die Augen, sie schlägt sich die Hände vors Gesicht. Nichts hilft. Alkohol und Tabletten lehnt sie ab, „da weiß man nie, was bei raus kommt. Wenn ich fliege fühle ich mich so, als ob ich mein Testament machen müsste, ausgeliefert, ohne Kontrolle. Das ist das Schlimmste für mich. Keine Kontrolle zu haben.“ Die 47jährige Hamburgerin setzt nun alle Hoffnung in ein Flugangst-Seminar, für das sie sich angemeldet hat. „So geht es schließlich nicht mehr weiter und einmal im Leben möchte ich in die USA fliegen, wie jeder andere normale Mensch auch.“

Ähnlich erging es Karin bis vor ein paar Monaten, die konnte kaum U-Bahn, Auto zu fahren hatte sie ganz aufgegeben, die Strecke zu ihrer Arbeit mit dem Zug ertrug sie nur mittels Tabletten, bis sie fast abhängig wurde. Als eines Tages die U-Bahn stecken blieb, flippte sie aus. „Da war der Punkt erreicht, dass ich wusste, du musst was unternehmen.“ Seit einem halben Jahr geht die 45jährige Österreicherin mit Wohnsitz in Duisburg Woche für Woche zur Uniklinik nach Bochum und besucht eine Konfrontationstherapie. Auto, U-Bahn und Zug fahren kann sie mittlerweile wieder, enge Räume machen ihr aber noch immer zu schaffen und deshalb setzt sie sich dem Härtesten aus, was die Therapie zu bieten hat: sie wird in einen Gittertunnel der Feuerwehr gesperrt und muss sich in völliger Dunkelheit alleine zurecht finden. „Wir versuchen bewusst eine Panik herbei zu führen, um dem Patienten zu zeigen, dass er das überleben wird und keine Angst mehr vor der Angst haben muss“ erklärt der junge Therapeut. Für Karin wird dieser Tag ein Albtraum, schon jetzt wird ihr übel, wenn sie nur daran denkt. Aber sie will das Experiment durchziehen: „einmal habe ich schon aufgegeben, jetzt will ich es noch einmal wagen. Wenn ich das nicht schaffe, war alles umsonst.“

Pina Carbone aus Reutlingen fürchtet sich vor Spinnen. „Mich nimmt in meiner Angst keiner ernst, nicht einmal mein Mann.“ Die Angst wurde im Laufe der vergangenen Monate immer schlimmer. Schlafstörungen, Depressionen – jeden Tag erneut der Versuch, jede Situation zu vermeiden, in der sie auf eine Spinne treffen könnte. „Ich weiß, dass die Viecher mir nichts tun, aber diese Beine, die schnellen Bewegungen, dieser Ekel macht mir Angst.“ Seit Pina beim Wäsche zusammenlegen eine schwarze Hausspinne das Bein hoch krabbelte und die 35jährige um ihr Leben schrie, hat auch sie sich für eine Konfrontationstherapie entschieden. „Ich mache das für mich, aber auch für meinen 3jährigen Sohn. Ich will nicht, dass er meine Ängste annimmt.“ Und so wird auch sie sich in der Dornier Stiftung in Tübingen dem Unvorstellbaren aussetzen: Bilder von Spinnen anschauen, Videofilme mit den verhassten Tieren, schließlich die Konfrontation mit einer Hausspinne und als Krönung die Begegnung mit einer Vogelsspinne.

Mehr als ein Viertel der Bevölkerung in Deutschland leidet unter einer Angst, alleine über 15% unter Flugangst. Viele sind damit allein gelassen, da die Außenwelt dieses scheinbar irrationale Verhalten nicht verstehen kann. Konfrontationstherapien haben sich zu 80% als Erfolg erwiesen. Die Reportage begleitet die drei Frauen auf ihrem Weg in die Therapie und zeigt, wie sie sich dadurch verändern.

Buch/Regie:
Nicola Graef

Produziert:
2008, ZDF
30 min.


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