Das knifflige Leben des Gregor Gysi
14.01.2018
sueddeutsche.de
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Von Constanze von Bullion
Der MDR schenkt Deutschlands bekanntestem Linkspolitiker eine Doku zum 70.Geburtstag. Doch der Film erliegt dem Gysi-Hype. Es gibt eine Szene in diesem Film, in der der Protagonist die Rolle spielt, die er sich ein Leben lang gewünscht haben mag: Gregor Gysi wird da auf Händen getragen, von jubelnden Anhängern und auf einem Marktplatz im Nachwende-Deutschland, auf dem niemand diese bohrenden Fragen stellt. "Gysi war für sie wie der Messias", sagt dann André Brie, einer der Vordenker der heutigen Linkspartei. "Das war fast religiös."
Mit der Dokumentation "Gysi" überbringt der MDR dem bekanntesten Linkspolitiker Deutschlands ein Ständchen zum 70. Geburtstag. 90 Minuten lang folgen die Dokumentarfilmer Nicola Graef und Florian Huber Gregor Gysi durch sein Leben, sie blättern mit ihm im Familienalbum und zeichnen liebevoll seine berufliche Laufbahn nach.
Wer Gysi etwas länger kennt, wird sich unterwegs allerdings das Lachen nicht verkneifen können. Oder irgendwann anfangen, sich zu ärgern.
Dabei stimmt es, die Gysis sind ein Stück deutscher Geschichte, das sich zu erzählen lohnt. Gregor Gysis Mutter Irene Lessing stammte aus einer Familie russisch-jüdischer Industrieller, sie war von Adel, was Gysi gern mal erwähnt. Auch der Vater und spätere DDR-Kulturminister Klaus Gysi gehörte zum Kreis intellektueller und linientreuer Kommunisten, die im Nationalsozialismus ihr Leben im Widerstand riskierten und später freiwillig in die DDR gingen. Keine langweilige Geschichte also, und Gysi weiß sie zu erzählen.
Gysi spielt und interpretiert Gysi Doch je länger der Film dauert, desto deutlicher wird: Hier spielt und interpretiert einer sich selbst. Gysi schleppt Kladden durchs Rechtsanwaltsbüro, Gysi besucht das Grab der Eltern. "Vormittags im Bundestag, nachmittags beim Volksfest - überall fühlt Gysi sich wohl", tönt es aus dem Off, unbekümmert wie in der Vorabendwerbung.
Natürlich kommt dann auch die Stasi zur Sprache. Gregor Gysi hat immer bestritten, Mandaten verraten zu haben - und wer das öffentlich anzweifelte, bekam es mit Gerichten zu tun. Einen scharfen Blick auf die jahrelange Kontroverse aber schenkt sich der Film. "Tatsächlich finden sich in Dutzenden Stasi-Papieren Informationen über Gysi und seinen Mandanten. Vielen reicht das als Beweis", heißt es da. So als sei Gysi nur mit Vorverurteilung konfrontiert gewesen. Das ist, vorsichtig ausgedrückt, ein bisschen schlicht.
Immer wieder erliegt diese Dokumentation ihrem Sujet: dem Gysi-Hype. Mehr Biss hätte da gut getan. Gysi-Kritiker wie Joachim Gauck und Sahra Wagenknecht aber wollten keine Interviews geben, sagt Regisseurin Nicola Graef.
Andere Geschichten wiederum huschen nur vorbei. Wie Gregor Gysi, ein loyaler Sohn der DDR-Aristokratie, von seinen systemtreuen Eltern geprägt wird und wie er sich ein Leben lang nicht aus diesem Schatten lösen kann, anders als seine Schwester - das hätte so eine Geschichte sein können. Knifflig? Weniger gefällig? Kann sein. Aber womöglich näher dran an einem kniffligen Leben.
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