Sind Journalisten die besseren Juristen? #MeToo: Ein problematischer ARD- Film rollt den Fall Siegfried Mauser auf
26.10.2018
Weser Kurier
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In der Story im Ersten, einer Dokumentationsreihe der ARD, geht es gern um Fischsiegel, Nordkorea oder die AfD. Vergangenen Montag — ausgestrahlt wird zu fast nachtschlafender Zeit — ging es um #MeToo. Die Hand am Po hieß der dreiviertelstündige Film, ein Beitrag zum Jahrestag jener Kampagne, die weltweit Bewegung ins Verhältnis der Geschlechter brachte. Nicola Graef, die Regisseurin, hatte zuvor unter anderem eine Reportage über die Berliner Jugendrichterin Kirsten Heisig gedreht und den Maler Neo Rauch porträtiert. Die Hand am Po ist eine Produktion des WDR. Und ja, auch der WDR kommt in dem Panorama vor, das Graef aufzieht - dezent, aber durchaus kritisch. Ansonsten spielt der Film in der Wirtschaft, an Universitäten, in Kliniken und bei der Deutschen Bahn. Expertinnen wie die ehemalige Leiterin der Bundes-Antidiskriminierungsstelle Christine Lüders oder die Netz-Aktivistin Anne Wizorek kommen zu Wort, Opfer wie Täter bleiben überwiegend anonym. Die Rahmenhandlung aber - und hier stutzt man - bildet der Fall Siegfried Mauser. In zwei Prozessen wurde der Pianist und Ex-Präsident der Münchner Hochschule für Musik und Theater wegen sexueller Nötigung verurteilt: 2017 zu neun Monaten auf Bewährung, 2018 zu zwei Jahren und neun Monaten Haft. Das erste Urteil ist seit September rechtskräftig, Mausers Revision gegen das zweite liegt beim Bundesgerichtshof Vom Vorwurf der Vergewaltigung wurde er 2018 freigesprochen. Mausers Existenz als Strippenzieher der Klassikszene (in Bayern) und als Künsder ist somit ruiniert. Wandert er ins Gefängnis, verliert er zudem alle Pensionsansprüche. Im Film nun sieht man ihn Klavier spielen - und reden, Stellung beziehen in eigener Sache. Haben seine Anwälte das vor dem Münchner Landgericht nicht hinlänglich getan, fragt man sich, ist das Ergebnis nicht gut bekannt? Traurig blickt Mauser in die Kamera, hängende Schultern, ein Gezeichneter. Von »Missverständnissen« ist die Rede, von Zungenküssen, die keine gewesen seien, und davon, dass vor zehn Jahren, also ohne #MeToo, nach alldem kein Hahn gekräht hätte. »Siegfried Mauser, ein Täter?«, fragt die (weibliche) Stimme aus dem Off. Die Antwort gibt er am Ende selbst: Belästigung, ja, und es tue ihm auch leid, dass er sich derlei »Fahrlässigkeiten« gestattet habe. Das Strafmaß und die damit einhergehenden Konsequenzen empfinde er jedoch als Ungerechtigkeit. Gegengeschnitten werden die Mauser-Statemeits mit Schilderungen zweier seiner Opfer, der Cemtalistin Christine Schornsheim (die auch der FAZ in der vergangenen Woche ein sehr detailfreudiges Interview gab) und einer Sängerin, die sich an der Münchner Hochschule vergeblich um einen Lehrauftrag bemüht hatte. Was, so fragt man sich irritiert, sollen die Zuschauer mit einem solchen Aussage-gegen-Aussage-Spiel anfangen? Schwingt sich das Fernsehen, schwingen sich die Medien hier zu Richtern in einem schwebenden Verfahren auf? Soll dokumentiert werden, wie heikel Prozesse sind, in denen es nicht um Beweise, sondern um Glaubwürdigkeit geht? Mit Mauser bekommt man fast Mitleid, und das ist der eine Effekt von Die Hand am Po. Die Sympathiewerte der Frauen hingegen dürften unterschiedlich ausfallen. Und das ist der andere Effekt: dass man sich provoziert fühlt, selbst ein Urteil zu fällen. Als sei Rechtsprechung in erster Linie eine Frage des angeblich so gesunden Menschenverstands. Zweifellos wäre ein Resümee von #Me-Too in Deutschland ohne Siegfried Mauser nicht komplett, zumal für die Kulturszene nicht, in der die Kampagne vor Jahresfrist »ausbrach«, wie der Musiker es einmal nennt. Den Fall derart offen zu rekapitulieren aber, als würde das öffentlichrechdiche Fernsehen am liebsten selbst in Berufung gehen, ist verfehlt.
Christine lemke-matwey
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