Das „Ich“ wird fraglos groß geschrieben im Leben von Jörg Immendorff
02.05.2008
Programmkino.de
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Das „Ich“ wird fraglos groß geschrieben im Leben von Jörg Immendorff, so wie es Nicola Graef in ihrer Dokumentation zeigt. In den letzten zwei Jahren vor seinem Tod im Mai 2007 beobachtete sie den Maler und zeichnet das Bild eines streitbaren, egozentrischen Künstlers, der bis zu seinem Tod für sein Werk lebt. Wie Immendorff der schweren Nervenkrankheit, die seine Bewegungsmöglichkeiten immer weiter einschränkt, trotzt, mit Hilfe von Assistenten weiterarbeitet, weiterlebt, ohne sich zu beklagen, macht den Film zu einem ergreifenden Portrait eines eindrucksvollen Menschen.
Seinen letzten halb-öffentlichen Auftritt hatte Jörg Immendorff 2006, schwer gezeichnet von der Nervenkrankheit ALS. In seinem Düsseldorfer Atelier übergab er Gerhard Schröder das Portrait des Ex-Kanzler, das nun neben Gemälden der Vorgänger im Kanzleramt hängt. Der passende Abschluss unter eine illustre Karriere, die ihn in den 70er und 80er Jahren zu einer Art inoffiziellem Chronisten der Bundesrepublik machte. Die Nähe zu den mächtigen des Landes zog sich ebenso durch Immendorffs Leben und Werk, wie die Faszination mit der Halbwelt, die ihn immer wieder in mehr oder weniger große Skandale verstrickte. In den letzten Jahren bestimmten diese Geschichten und die fortschreitende Krankheit das Bild Immendorffs in der Öffentlichkeit, während seine Kunst in den Hintergrund rückte. Erst eine große Retrospektive in der Berliner Nationalgalerie und eben das Kanzler-Portrait änderte dies, trotz der besonderen Herstellungsweisen dieser jüngsten Arbeiten.
Durch seine Krankheit, die es dem Geist immer schwieriger macht, die Muskeln zu kontrollieren, war es Immendorff unmöglich selbst zu malen. Stattdessen beschäftigte er in seinem Atelier eine ganze Schar von Assistenten, die seine Anweisungen penibel ausführten. Kleine Zeichnungen wurden auf diese Weise auf große Leinwände vergrößert, mit Hilfe von Schablonen entstanden die typischen Motive des Immendorffschen Werks, insbesondere die immer wiederkehrenden Affen. In diesen Momenten zeigt sich Immendorff als unnachgiebiger Chef, der seine Angestellten mit meist wirschen Anweisungen zurechtweißt und kleinste Unachtsamkeiten aufs schärfste kritisiert. Man mag diese herrische Art für befremdlich und unsympathisch halten, vermutlich resultiert sie aber in erster Linie aus Immendorffs Situation, aus einer inneren Verzweiflung darüber, dass ihm die Fähigkeit zum Arbeiten genommen wurde. Dass er, der Zeit seines Lebens der Inbegriff der Aktivität war, der mit allen Sinnen gelebt und gearbeitet hat, nun an den Rollstuhl gefesselt ist, auf ständige Hilfe angewiesen ist und selbst die ständig glimmende Zigarette nur mit größter Schwierigkeit an den Mund führen kann.
Ganz ungeschönt zeigt Graefs das Bemühen Immendorffs um ein aufrechterhalten seiner künstlerischen Ausdrucksmöglichkeiten, stellt wenig schmeichelhafte Szenen neben zärtliche Momente mit seiner kleinen Tochter und lässt eine ganze Reihe, wohlgesonnener Freunde und Wegbegleiter zu Wort kommen. Ehr sporadisch wird Immendorffs Weg nachgezeichnet, von seiner Aufnahme in die Düsseldorfer Kunstakademie unter Beuys und seinen ersten Arbeiten. Das Werk selbst bleibt meist außen vor, eine Idee von Immendorffs künstlerischer Bedeutung gibt der Film kaum, da muss man schon dem Lob von Freunden und Immendorffs Eigenlob, etwas völlig Neues geschaffen zu haben glauben. So ist Nicola Graef weniger umfassende Dokumentation, als ein überzeugender Zusammenschnitt von Impressionen und Eindrücken. Keine kritische Darstellung, sondern eine Hommage an einen der bedeutendsten deutschen Künstler der Nachkriegszeit.
Michael Meyns
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