Arte-Doku über die Chippendales Was Patrick Swayze mit Calvin Klein verbindet

17.10.2019




Tagesspiegel


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„Strip, Sex & Crime“ und immer mit dem Trend – Die Geschichte der Chippendales als Arte-Dokumentation.

Alles begann 1979 in Los Angeles. Somen Banerjee, ein indischer Immigrant, versuchte mit dem Jurastudenten Bruce Nahin einen heruntergekommenen Nachtclub zum Laufen zu bringen. Ohne Erfolg.

Das änderte sich, als beide auf Anraten eines Zuhälters Muskelmänner mit Waschbrettbauch engagierten. Die Herren ließen die Hüllen fallen – nur für weibliches Publikum. Weil das Etablissement mit Chippendale-Sofas ausgestattet war, benannte man die skandalträchtige Show kurzerhand nach den spießigen Möbeln. Ein Marketing-Glücksgriff.

In ihrer Dokumentation [„Strip, Sex Crime – Die Geschichte der Chippendales“, Arte, 21 Uhr 45] rekonstruiert Nicola Graef, die für ihre Reportage „Tod einer Richterin – Auf den Spuren von Kirsten Heisig“ ausgezeichnet wurde, gemeinsam mit der Produzentin Julia Zinke, wie die Chippendales sich zu einem Seismografen der jeweiligen Körperkulte und ihrer medialen Inszenierungen entwickelten.

So beeinflussten beispielsweise Jane Fondas Aerobic-Homevideos, die in den USA eine Hysterie auslösten, auch den sportlicher werdenden Auftritt der strippenden Männer.

Umgekehrt sieht Patrick Swayze im „Dirty Dancing“-Film von 1987 nicht nur aus wie ein Chippendale. Auch die Story, der gemäß ein durchtrainierter Underdog zur Fantasie einer Durchschnittsfrau der Upperclass wird, folgt ganz dem Prinzip der Show. Und als Madonna mit „Express Yourself“ weibliche Sexfantasien zelebrierte, zeigte ihr gleichnamiges Pop-Video von 1989 Ähnlichkeiten mit einer Chippendale-Show.

Was mit einer obszönen Geste begann, entwickelte sich nach und nach zu einem Trendsetter für Mode und Lifestyle. Modelabels wie Calvin Klein nutzten das durch die Chippendales transportierte Körpergefühl für ihre Werbung. Mit seiner ausgefeilten Choreografie formte Nick de Noia die weltweit auf Tour gehende Boygroup schließlich zu einer lukrativen Marke.

„Elegant wie Schwimmer“

Der eigentliche Erfinder der Chippendales sah derweil seine Felle wegschwimmen. Somen Banerjee engagierte daraufhin einen Auftragskiller, der den unliebsamen Kompagnon erschoss. Bis heute gilt dieser Fall als ungelöst. Als Banerjee den nächsten Konkurrenten aus dem Weg räumen wollte, wurde er verhaftet und verübte hinter Gittern Selbstmord.

Solche Geschichten kann man nicht erfinden. Der Film schlägt einen weiten Bogen über Sex & Crime, erotische Träume und einen etwas anderen Feminismus bis hin zu einem unverwüstlichen Erfolgskonzept, das sogar die Digitalisierung überstand. Denn nach der Aids-Epidemie und der Verlagerung sexueller Fantasien ins Internet waren die Chippendales in dem 1990ern zunächst völlig out.

Seit 2002 sorgt der Event-Charakter der strippenden Männer in Las Vegas wieder für ein volles Haus. Das weibliche Idealbild eines Adonis, so zeigt die Dokumentation nebenbei, hat sich über die Jahrzehnte hinweg stark gewandelt. Aufgepumpte Bodybuilder à la Arnold Schwarzenegger sind out. Dem Trend entsprechend sind die Chippendales heute „elegant wie Schwimmer“. „Strip, Sex Crime – Die Geschichte der Chippendales“ wirft einen kurzweiligen Blick zurück auf die Moden der 1980er und 1990er Jahre. Die Stimme der Off-Sprecherin klingt zuweilen etwas tantenhaft. Davon abgesehen gelingt den beiden Autorinnen eine thematisch breit gefächerte Kulturgeschichte über den kleinen Unterschied und seine großen geschäftlichen Folgen.

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