Es muss krachen

01.06.2021




Nicola Kuhn


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Kunst als Störfall


Das sitzt. Ai Weiwei prangert mit schockierenden Aufnahmen die Zustände in griechischen Geflüchtetenlagern an. Die russische Künstlergruppe Voina pinselt nachts mit weißer Farbe einen Penis auf eine Zugbrücke in St. Petersburg und zeigt damit dem KGB den Stinkefinger, vor dessen Verwaltungsgebäude die 65 Meter lange Latte hochgeht.

Die feministische Punkrock-Band Pussy Riot gibt ein Konzert in der Moskauer Christ-Erlöser-Kirche, bis nach drei Minuten Sicherheitskräfte die vier kassieren. Paff, paff, paff. Kunst muss krachen, damit sie registriert wird, zumal die widerständige. Das gilt auch für die Berichterstattung, wenn es um Kunst als „Störfaktor“ geht.

Im der dreiteiligen Arte-Serie von Nicola Graef und Jörg Jung prasselt ein Bildergewitter nach dem anderen nieder, kurze Statements der Protagonisten dazwischen, bis die nächste Action passiert. Die amerikanische Bildhauerin Andrea Bowers wird als Baumbesetzerin von Beamten aus den Ästen geholt. Santiago Serra lässt die Synagoge Stommeln mit Abgasen befüllen, Ausstellungsbesuch mit Beatmungsgerät inklusive („Störfall Kunst“, Arte, Mittwoch. Teil 1: „Macht und Politik“, 21 Uhr 40. Teil 2: „Glaube und Kirche“, 22 Uhr 35. Teil 3: „Feminismus“, 23 Uhr 30.).

Philipp Ruch vom Zentrum für Politische Schönheit erklärt, warum Zynismus ein probates Mittel ist und die Aktion „Flüchtlinge fressen“ vor dem Berliner Gorki-Theater mit einem realen Tiger im Raubtierkäfig doch prima funktioniert.

„Macht und Politik“, „Glaube und Kirche“, „Feminismus“ sind die drei Teile überschrieben, die am Mittwoch hintereinander bei Arte ausgestrahlt werden. Jede stellt die richtigen Fragen. Kunst oder Aktivismus? Wer provoziert mehr: die Kirche und ihre Schweigsamkeit oder die Kunst, die das Laute sucht? Weiße Wände, weiße Künstler – wo bleiben die Frauen, die Diversität? Nur sucht die Reihe letztlich nicht nach Antworten.

Dass Kunst als Störfaktor funktioniert, belegt sie allemal durch zahllose Beispiele – angefangen mit den „Guerilla Girls“, die in den 1960ern in den USA im Affenkostüm auf die fehlenden Künstlerinnen in den Museen aufmerksam machten, bis zur Schwedin Anna Uddenberg, deren Skulpturen pornografische Posen drastisch überziehen. Was neben der Behauptung wirklich hängen bleibt im öffentlichen Bewusstsein, möchte man nach dem Trommelfeuer künstlerischer Attacken doch genauer wissen.

Wie geht es weiter nach einer Ausstellung mit Kunst zum Klimawandel im Mönchengladbacher Abteibergmuseum? Welche Konsequenzen zieht daraus eine Institution, die als CO2 -Schleuder gilt?

Graef und Jung haben bewusst auf Experten verzichtet, das Wort gehört den Künstlerinnen und Künstlern, die Bildermacht sowieso. Die einzelnen Takes trennt ein Störbild in Schwarz-Weiß. Atmosphärisches Knistern rauscht auf wie zu guten alten TV-Zeiten, als noch seitlich gegen die Kiste geklopft werden musste, damit es bei Stillstand wieder weitergeht.

Schließlich verdient Sierra mit seinen Tabubrüchen nicht schlecht

Das Motiv passt auch zur Grundsatzfrage, was kann Kunst heute noch im Fernsehen: Muss sie aufdrehen, um sich im Kampf um Aufmerksamkeit zu bewähren? Nicola Graef hat große Künstlerporträts produziert, von Jörg Immendorff und Neo Rauch. Auch der „Störfall“-Reihe hätte mehr Fokussierung auf einzelne Protagonisten gut getan.

Statt additiv, in schneller Folge die verschiedenen Positionen zu präsentieren, wäre es spannender gewesen, genauer hinzuschauen, etwa wie sich die Strategien der Künstler verändert haben. Stattdessen werden jahrelang zurückliegende Aktionen und jüngste Interventionen bunt gemischt, als gäbe es keine Entwicklung. Warum die Jungen zu Methoden der Alten greifen, wieder zu Aktivisten werden, wäre ebenfalls interessant zu beleuchten gewesen.

Joseph Beuys bekommt nur einen kurzen Auftritt, wie er eine Eiche pflanzt und sich mit dem peinlichen Protestsong „Sonne statt Reagan“ auf einer Bühne der „Grünen“ probiert.

„Wir Künstler sind die Guten“, sagt Santiago Sierra selbstbewusst in die Kamera. Eigentlich möchte man ihm sofort widersprechen, auch wenn der spanische Radaubruder, der in einer Galerie Arbeitslosen eine durchgehende Linie auf den Rücken tätowieren oder sie minimalistische Kuben tragen lässt und programmatisch nur einen Hungerlohn dafür bezahlt, zu Recht dieses Selbstverständnis vertritt.

Ansonsten würde er seine Mission nicht verfolgen, die Provokationen nicht wagen, mit denen er den Finger in die Wunde legt: Unterbezahlung, Diskriminierung im Schick des White Cube. Aber genau an diesem Punkt wird es interessant, müsste die Diskussion beginnen. Schließlich verdient Sierra mit seinen Tabubrüchen nicht schlecht.

Anna Uddenberg bekennt freimütig: „Kunst braucht eine Form der Abgefucktheit. Das ist Teil der ganzen Erfahrung.“ Die Bildhauerin weiß, wie das geht: Ihre sexistischen Figuren sind nicht weit weg von der Realität, „nur ein bisschen verschoben“, wie Uddenberg es beschreibt. Schon setzt die Verstörung ein. Weibliches Empowerment steckt dahinter, es ist die Antwort auf die plastischen Pin up-Girls des britischen Bildhauers Allen Jones in den 1960ern.

„Es muss eine Dosis Gift in der Arbeit sein“, verrät Uddenberg als Rezept. Subtilität ist ihre Sache nicht. Darin trifft sie sich mit Nathalie Djurberg, deren Knetfiguren im Film alle erdenklichen Qualen erleiden. „Störung ist wichtig“, sagt die Künstlerin. „Wenn ein System gut ist, hält es das aus.“

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