„Eine einsame Stadt“ (2019)

27.09.2021




Doreen Matthei


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Filmkritik: Die Dokumentation „Eine einsame Stadt“ von Nicola Graef, welche ihre Premiere auf dem 63. DOK Leipzig feierte, ist ein einfühlsames Portrait der Stadt Berlin und einigen ihrer BewohnerInnen, welche trotz vieler Menschen um sich herum, Einsamkeit empfinden.

In Berlin gibt es immer die Möglichkeit unter Menschen zu sein. Sei es in vollen Straßen, auf belebten Plätzen oder im Nachtleben. Doch trotzdem fühlen sich viele Menschen allein. So auch die gerade nach Berlin gezogene Tessa, welche schlecht Anschluss findet und auch die alleinerziehende Mutter Gesa, die sehr gern alle Seiten des Elternseins mit jemandem teilen möchte. Dem Künstler Thomas, der nach langer Zeit wieder Single ist, und dem ehemaligen Gewichtheber Micha, der schon lange allein lebt, geht es ebenso. Aber es gibt auch Menschen wie den Fotografen Efraim, der sich sein Leben als alteingesessener Single eingerichtet hat, aber nie das Gefühl hat einsam zu sein. Aber auch Menschen in einer Beziehung sind nicht vor Einsamkeit geschützt, so geht es Wieslawa, die sich trotz ihrer Ehe allein fühlt.

Die Hauptstadt Deutschlands gilt wie andere Großstädte weltweit als ein Ort, wo man ständig unterwegs ist, nie allein ist und immer die Möglichkeit hat Kontakte zu knüpfen. Trotzdem gibt es trotz der vielen Vernetzungen dieser Zeit (natürlich alles unabhängig von Corona) viele Menschen, die sich allein oder einsam fühlen. Diesen Aspekt verfolgt die routinierte Filmemacherin Nicola Graef (*1970) in ihrer neuesten Dokumentation. Dazu hat sie ein Potpourri vieler unterschiedlicher Menschen getroffen und porträtiert neben ihren sechs Hauptprotagonistinnen auch kleinere Begebenheiten und Persönlichkeiten, wie die beiden Hausmeister, welche in einem Plattenbau nicht nur dafür da sind, die haustechnischen Probleme zu beheben, sondern auch gerne für einen Plausch erhalten. Durch das Portraitieren von so unterschiedlichen Frauen und Männern wie Efraim, der das Singledasein immer genossen hat, und Micha, der, wenn er auf sich selbst zurückgeworfen wird, schlecht mit der Einsamkeit klar kommt, gibt sie das Spektrum der verschiedenen Formen der Einsamkeit wieder. Von der jungen Studentin, die noch lernen muss, wie wohltuend es ist, Bindungen einzugehen, bis zum Wieder-Single-sein nach langer Beziehung ist alles dabei. Was macht das Alleinsein mit Menschen, welche Nebenwirkungen (bis hin zur Depression) können auftreten? Wie verändert es die Persönlichkeit? Und wie verschärfen sich dadurch Probleme oder Ängste? Auf all dies kann der Film natürlich keine Antwort finden, kann aber durch seine exemplarischen Geschichte den Finger in die richtige Wunden legen. Auf formaler Ebene ist der Film als klassischer Dokumentarfilm mit Talking Heads und Alltags- und Umgebungsbeobachtungen aufgebaut. Dabei baut die Regisseurin Nicola Graef eine unglaubliche Nähe zu ihren ProtagonistInnen auf, die in ihren Privaträumen dann auch ihre Verletzlichkeit offenbaren. Durch und durch ist „Eine einsame Stadt“ ein berührendes Portrait einer überall auftretenden Einsamkeit, welche viele Menschen kennen und die durch die Digitalisierung möglicherweise noch verstärkt wird. Gerade in der Corona-Pandemie tat sich die Kluft noch mehr auf und machte deutlich, dass hier eine Quelle für viele Probleme liegt.

Fazit: „Eine einsame Stadt“ ist ein Dokumentarfilm der Regisseurin Nicola Graef und berichtet vom Allein- und Einsamsein in der Großstadt. Dabei trifft sie Menschen verschiedener Generationen und in unterschiedlichen Lebensumständen, schafft mit viel Offenheit eine große Nähe zu ihnen und portraitiert im Gesamten mit weiteren Nebengeschichten eine Bandbreite von Menschen, welche auf ihre Weise einsam sind. Dabei werden viele Probleme, welche damit einhergehen, aufgedeckt. Der Film lässt die richtigen Fragen und das Bedürfnis nach Veränderungen in den Köpfen entstehen und spricht bestimmt viele Menschen aus dem Herzen, die sich darin wiedererkennen und auf ihre Weise einsam sind.

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