Malen bis zum letzten Atemzug

17.05.2008




Westdeutsche Zeitung


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von Helga Meister

Besessen vom Künstlertum – so zeigt die Dokumentation „Ich. Immendorff“ den Düsseldorfer Maler. Nächste Woche startet sie in den Kinos.

Düsseldorf. Einen grandiosen Film hat Nicola Graef über die letzten beiden Jahre von Jörg Immendorff geschaffen. Die langjährige Moderatorin der Sendung „Westart am Sonntag“ im WDR-Fernsehen zeichnet den Lebensweg eines Menschen nach, der besessen ist von seinem Künstlertum.

Zugleich ist es ein Dokument über das langsame Sterben. Mit einer Schiene an Hand und Arm zeichnet der an der unheilbaren Nervenkrankheit ALS leidende Maler den Künstlerkollegen Jonathan Meese.

Aber es gibt auch viel zu lachen in dieser Dokumentation. Wer kann sich vorstellen, dass sich der Maler als Minderjähriger im Schrank seiner Geliebten versteckte und darauf wartete, dass die Schwiegereltern in spe verschwinden würden.

Seine Freundin und erste Ehefrau Chris Reinecke sagt nun vor laufender Kamera: „Meine Mutter entdeckte ihn in meinem Kleiderschrank. Er kam heraus, das war schon peinlich. Meine Eltern drängten auf Heirat.“ In der Garage nahm sich der Vater das Leben – ein Trauma für Immendorff

Einprägsam sind zunächst die Szenen zur Kindheit, erzählt von der Mutter. Irene Immendorff zog den Sohn allein auf. Ihr Ehemann, Jörgs Vater, war Offizier im Krieg und später Leutnant der Bundeswehr.

Doch er ging fremd und wurde nach seinen endlosen erotischen Eskapaden zu Hause nicht mehr eingelassen. In der eigenen Garage nahm er sich das Leben. Jörg war zu diesem Zeitpunkt elf Jahre alt – ein traumatisches Erlebnis.

Diese Mutter ist eine patente Frau, die der Sohn liebte. Als er ihr erklärte, er werde mit einem Lidl-Papierhaus vor das Bundeshaus ziehen, war ihre erste Reaktion: „Ich bin im öffentlichen Dienst und fliege raus.“

Sie blieb. Aber viel zu beißen hatte der Sohn nicht, wenn er sich erinnert: „Ich habe vor der Akademie mit meinem schwarzen Mantel gestanden, mit einem halben Liter Milch und ein paar Röggelchen mit Rosinen. Ich stand jeden Morgen um acht Uhr vor der Akademie, schmal, unterernährt, weil kein Geld da war.“ Die Mutter hatte ihn in einem Männerheim untergebracht.

Der Film enthält kluge Interviews von Freunden, Kollegen, Galeristen und Museumsleuten. Am besten aber ist Jörg Immendorff selbst. Ein Egomane und ein Held. Hilflos, doch nie gebrochen.

Seine O-Töne sind sehr bewusst ausgewählt. Sie beweisen seinen Lebenstraum: „Ich wollte immer Künstler werden.“ Er blieb es bis zuletzt, trotz der Lähmungserscheinungen, der Existenz im Rollstuhl, des künstlichen Atmungsgeräts. Bis zu seinem Tod wollte er die Welt verändern

Wie verändert die Ausweglosigkeit seines Lebens seine Kunst? Seine Frau Oda Jaune antwortet auf die Frage nach den vielen Helfern im Atelier fast pragmatisch: „Wenn jemand plötzlich zwei Hände verloren hat und dafür acht bekommt, das ist faszinierend.“

Er selbst sieht es ähnlich: „Solange ich meiner Arbeit nachgehen kann, bin ich doch privilegiert. Ich arrangiere mich mit den Begleitumständen. Es bleibt mir ja nichts anderes übrig.“ Das führte zu einer beispielhaften Ökonomie im Organisieren seiner Kunst.

Bis zu den letzten Atemzügen hat dieser Mann eine ungeheure Kraft ausgestrahlt und das Ethos gelebt, die Welt verändern zu wollen. Er wusste, dass er keine Minute verschwenden durfte.

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