"Gibt's keinen Zoff, mache ich mir selber Zoff"

19.05.2008




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Von Ingeborg Wiensowski

Die Filmemacherin Nicola Graef hat den unheilbar kranken Maler Jörg Immendorff zwei Jahre lang mit der Kamera begleitet. Zum ersten Jahrestag seines Todes kommt der Film "Ich. Immendorff" ins Kino - eine sehr persönliche und kritische Hommage.

Jörg Immendorff war ein kritischer Maler und "ein ganz lieber weicher Junge", wie sein Kollege Franz Erhardt Walter über ihn sagt. In der Jugend Maoist, im Alter Freund des ehemaligen Bundeskanzlers Gerhard Schöder. Immendorff ist der Maler der 23-teiligen Serie "Café Deutschland" (1977–1983) und rund 25 Jahre später der Gold-Porträtmaler seines Kanzler-Freundes. Er arbeitete bis 1980 zwölf Jahre lang als Hauptschullehrer, besaß später eine Kneipe im Hamburger Rotlichtviertel St. Pauli, inszenierte sich als Malerfürst und wurde an der Düsseldorfer Kunsthochschule zum Professor berufen.

Immendorff war Society-Liebling, Freund der Öffentlichkeit und der Medien, die 2003 ausgiebig über aufgeflogene Sex-und Drogenpartys in einem Hotel berichtete und denen er später darüber bereitwillig Interviews gab.

Da war er schon unheilbar krank. Noch im Jahr 2000 hatte Immendorff auf die Fragen nach seiner offensichtlich gelähmten Hand erklärt, er habe sich einen Nerv eingeklemmt. Damals wusste er schon zwei Jahre lang über seine Krankheit Bescheid und malte Bilder, die sich von seiner vorhergehenden Arbeit sehr unterschieden. Er entwarf sie am Computer und ließ sie von Assistenten ausführen.

Damit beginnt Graefs Film im Atelier des Malers. Zuerst allerdings hört man die Stimme des Malers Jörg Immendorff: "Ich wollte immer Maler, ich wollte immer Künstler werden, das war ja mein großer Traum, das stand ziemlich früh fest."

Dann das erste Bild. Die Kamera schwenkt über eine Gruppe bronzener Affenskulpturen von Immendorff. Der spricht weiter: "Gibt's keinen Zoff, mache ich mir selber Zoff, gibt's keine Revolution, mach ich mir selber Revolution, ist Deutschland bequem, bin ich unbequem." Wieder die Affen und die Stimme: "Leben Sie jetzt jeden Tag intensiver, wie soll das denn gehen, also soll ich jetzt morgens jede Minute intensiv leben? Nein, man macht am besten das, was man immer macht, so gut es geht."

Nicola Graef, Filmemacherin und Produzentin, hat Immendorff fast zwei Jahre lang mit der Kamera begleitet. Sie hat ihn im Atelier bei seiner Arbeit zusammen mit seinen Assistenten und in sehr privaten Momenten gefilmt.

Sie zeigt ihn bei Ausstellungseröffnungen in der Neuen Nationalgalerie und einer Galerieschau, lässt Immendorffs Mutter Irene über ihren Sohn und sehr persönliche familiäre Situationen sprechen, die erste Ehefrau und Künstlerin Chris Reinecke über alte Hochschulzeiten und den Hang Immendorffs zum Verkleiden, und Immendorffs Ehefrau Oda Jaune über die Beziehung zu ihrem ehemaligen Lehrer, ihre Bewunderung für seine Haltung und ihrer beider Situation in der Gewissheit des nahen Todes.

Aber vor allen Dingen ist die Kamera im Atelier dabei, denn obwohl Immendorff nicht mehr malen kann, arbeitet er weiter. Vom Rollstuhl aus dirigiert er seine Assistenten beim Herstellen seiner Bilder, ordnet Farben und Formen an und korrigiert oft ungeduldig die Malprozesse. Dazwischen spricht er über Disziplin und Präzision und seine Energie, niemals anklagend oder selbstmitleidig. Nach wie vor unterrichtet er seine Klasse an der Düsseldorfer Hochschule und ist auch dort kein bisschen milde mit seinen Studenten.

"Kunst ist alles, Kunst ist komplett alles, was über das Banale hinaus zu wachsen versucht", sagt Immendorff. "Er braucht die Kunst zum Leben", sagt sein Assistent, denn sie sei sein Lebenselixier.

Graef kommentiert den Film nicht und gibt damit dem Zuschauer Raum für ein eigenes Bild des Malers. Der Film verliert sich nicht in Bewunderung und Mitleid, sondern zeigt auch einen sich maßlos überschätzenden Künstlers ("Ich habe für die Malerei Neuland erobert"), den Kollegen wie Richter, Polke oder Palermo nicht mochten.

Und dann das Kanzlerporträt, das er am 1. März 2007 übergab, von großem Medienrummel begleitet. Dies zeigen die letzten Bilder des Films, der eine respektvolle Hommage an Jörg Immendorff ist – einem Mann mit der zutiefst menschlichen Sehnsucht nach Unsterblichkeit.

Ich. Immendorff. Ein Film von Nicola Graef. 98.52 Minuten Länge, ab 22.5. im Kino. Infos: Lona Media. Immendorff-Ausstellung vom 11.7. bis 10.8. im CCH Hamburg.

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