Dandy und Despot

22.05.2008




Süddeutsche Zeitung


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In ihrem Film „Ich. Immendorff“ zeigt Nicola Graef den Malerfürsten zwischen Heiterkeit und Einsamkeit

„Das Bild muß die Funktion der Kartoffel übernehmen im Café!“ Die Immendorff-Parole aus seinem „Café-Deutschland“-Zyklus (43 Werke zwischen 1977 und 1983), der ihn berühmt machte. Unscheinbar, dienstbar, nahrhaft sein – macht das die Kartoffel aus? Widerspricht die spektakulär auftrumpfende Geste des Künstlers nicht seiner Kartoffel-Botschaft? Ist dieser Widerspruch nicht das, was Immendorff ausmachte? Im Schlußkapitel ihrer Immenodorff-Hommage beobachtet Nicola Graef eine ergreifende Szene, auf die der ganze Film hinzusteuern scheint: März 2007, zwei Monate vor seinem Tod, präsentiert der Künstler in seinem Atelier das Gerhard-Schröder-Porträt, das die Ahnengalerie des Kanzleramts vervollständigen wird. Fotografen, Prominenz und der Ex-Kanzler sind anwesend. Nach dem offiziellen Teil wird Immendorff plötzlich am Rand des Geschehens sichtbar. Einsam sitzt er im Rollstuhl, atmet schwer. Seit zehn Jahren leidet er an einer unheilbaren Erkrankung des Zentralnervensystems (ALS), die den Bewegungsapparat zunehmend gelähmt hat. Ruckweise pumpt das Beatmungsgerät Luft zu, so daß es aussieht, als würde Immendorff schluchzen. In seinen Augen blitzt für einen Moment Panik auf. Dann erzählt er von der auch jenseits der Krankheit unumgänglichen Einsamkeit und Verzweiflung des Künstlers. Zu Beginn des Films: Atelierszenen aus dem Jahr 2005, als der Meister die große Retrospektive für die Berliner Nationalgalerie vorbereitet. Sie zeigen Immendorff als strengen, herrischen Befehlsgeber, der die Verzweiflung über seine gelähmten Hände hinter Despotie zu verbergen scheint. Eine ganz andere, beinahe heitere Atmosphäre dann, wenn Freunde ihn besuchen. In Archivaufnahmen werden schlaglichtartig einige Lebenssituationen beleuchtet: die turbulenten Lehrjahre bei Joseph Beuys, die neodadaistischen Aktionen, die Begegnung mit dem Dresdner Maler und „Anarchisten par excellence“ A. R. Penck, dann die knalligen Auftritte als porschefahrender Partylöwe und Kanzlerfreund. Dass die Kontraste in Immendorffs Gestalt – er war Mao-Verehrer und Reeperbahn-Dandy, Kunstlehrer an der Hauptschule und höchstdotierter „Maler-Fürst“ – eher nur angedeutet als kräftig ausgemalt werden, muß man dem Film nicht ankreiden. Dass er aber gar nicht versucht, ins Werk einzudringen, wird zum entscheidenden Manko. Nicola Graef benutzt Immendorffs Gemälde nur für motivische Illustrationen des Biographischen. Tatsächlich aber entsprang die Biographie dem Werk. Markus Lüpertz formuliert es so: „Er mußte das, was er malte, sein.“

(Rainer Gansera)

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