Dokumentarisches Porträt von Nicola Graef über Jörg Immendorff, einen der bedeutendsten zeitgenössischen Künstler der Bundesrepublik Deutschland.

22.05.2008




BR-online


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Ein dokumentarisches Porträt über einen der bedeutendsten zeitgenössischen Künstler der Bundesrepublik Deutschland – das birgt Potenzial und Stoff und Risiko gleichermaßen. Zumal, handelt es sich doch um einen Künstler, einen Maler, der während der Dreharbeiten noch lebt, der Autorin Rede und Antwort steht, und dessen zunehmender körperlicher Verfall gewissermaßen automatisch mitdokumentiert wird. Einen Künstler, der nach Abschluss der Dreharbeiten verstarb. Um jemanden, dem also posthum gedacht wird, einerseits; der aber zu Lebzeiten noch interviewt wurde und also diesen Film von Nicola Graef maßgeblich prägte, andererseits: Jörg Immendorff. Am 28. Mai 2007 verstarb Jörg Immendorff, nach neunjähriger Krankheit, an Herzversagen. Er litt unter ALS, die Krankheit wurde ihm 1998 diagnostiziert.

Info Eine Krankheit, die an Gehirn und Rückenmark Nervenstränge befällt, sodass früher oder später Hände und Füße, Arme und Beine nicht mehr motorisch sein können. Hernach folgt die Sprechfähigkeit. Die Hände, die Arme nicht mehr bewegen zu können, das muss für einen Künstler, einen Maler zumal, einer Katastrophe nahe kommen. Schlaff hängen seine Arme denn auch herunter, als man Jörg Immendorff immer wieder in seinem Atelier in Düsseldorf sieht, wie er da im Rollstuhl sitzt, und, obgleich er ein kleines Team um sich herum geschart hat, unendlich einsam wirkt.

Einer, der in den 60er und 70er Jahren für so manchen Skandal sorgte, zusammen mit seinem Maler-Kollegen Markus Lüpertz. Der auf die Straße ging, protestierte, der immer wieder durch Frauen- und Drogengeschichten in die Schlagzeilen geriet, der auch als aggressiv galt. Einer, der im Atelier auf der Leiter stand, Stunden über Stunden, mit der linken Hand großflächig malend, bis zur völligen Erschöpfung. Der sitzt nun im Rollstuhl, wo ihm das Wasserglas mit Strohhalm gereicht, das Telefon ans Ohr gehalten, das Feuerzeug für die Zigarette gebracht wird.

Allein ginge es nicht mehr. Er ist angewiesen auf seine Entourage. Zugleich gibt er Anweisungen, wird doch in seinem Namen weiter gearbeitet, geschaffen, kreiert, gemalt. Nicht ans Aufhören denken. Ans Aufgeben womöglich. Nein, hier noch mehr Schwarz, dort stimmen doch die Verhältnisse nicht, und, ob man ihn denn nicht verstehe. Bis er irgendwann sein finales, ersehntes "okay" zu einem Bild gibt, und es signiert werden kann. Immendorff, das ist in diesen letzten Jahren – die Doku zeigt ihn vor allem im Herbst und Winter 2005, später noch einmal im Juli 2006 – einer, der in seiner Atelier-Werkstatt delegiert. Ein Immendorff, das ist nunmehr kein von ihm selbst erstelltes Bild mehr, sondern wurde von seinen Mitarbeitern, von seinen Jüngern, wenn man denn so will, geschaffen. Das erinnert an die Werkstätten etwa eines Rembrandt, oder anderer. Da stellt sich freilich auch die Frage nach der Authentizität, welches Werk eigentlich und wirklich dem Künstler zuzuschreiben ist, und welches nicht.

Regisseurin Nicola Graef holte für ihren 100-minütigen Dokumentarfilm - der bezeichnenderweise "Ich. Immendorff" betitelt ist - auch Menschen aus dessen nächstem Umfeld vor die Kamera. Immendorffs 30 Jahre jüngere Ehefrau Oda Jaune, Mutter der gemeinsamen kleinen späten Tochter, auch die erste Ehefrau, Chris Reinecke, sowie Immendorffs Mutter Irene. Desweiteren kommen Wegbegleiter und Freunde zu Wort, der Schriftsteller Tilman Spengler etwa, oder eben Markus Lüpertz, und andere. Neben diesen Gesprächsabschnitten steht die Beobachtung, das Deskriptive. Auch die groß angelegte Ausstellungseröffnung in der Berliner Nationalgalerie wird mitgefilmt, seinerzeit noch mit dem ehemaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder, der auch später in Immendorffs Atelier kommt, um das angefertigte Kanzler-Porträt in Empfang zu nehmen – alles medial in Szene gesetzt.

Ambivalente Szenerien sind das, wenn der sichtlich Kranke da im Rollstuhl sitzt, manchmal wie ein Verlorener wirkt, rings herum Fotografen, und der Ex-Kanzler dicht daneben. Bleiben wird "Ich. Immendorff" bei alledem als Zeitdokument, das den noch lebenden Maler zeigt, der zu den wichtigsten des Nachkriegs-Deutschland zu zählen ist.

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