Die Einsamkeit des Künstlers

29.05.2008




Hamburger Abendblatt


zurück zur Auswahl


Dokumentation "Ich. Immendorff" von Nicola Graef bewegt und ist aufschlussreich

Von Stefan Reckziegel

Auf der Leinwand ist er zunächst nur zu hören, jener Mann, dessen Werke noch heute nachwirken: "Ist Deutschland bequem, mach ich es unbequem", sagt Jörg Immendorff. Am 28. Mai jährte sich der Todestag eines der bedeutendsten deutschen zeitgenössischen Künstlers, der mit seinem 1983 vollendeten Zyklus "Cafe Deutschland" (seiner Vision der Wiedervereinigung) zum wichtigsten politischen Maler seiner Generation geworden war. Die Filmemacherin Nicola Graef hat Immendorff (1945-2007), der fast zehn Jahre an der unheilbaren Nervenerkrankung ALS litt, während der letzten beiden Jahre begleitet. Ins Atelier, in die Düsseldorfer Kunstakademie inmitten der Studenten und zu den immer selteneren Auftritten.

Ihre Dokumentation "Ich. Immendorff" wirkt fast wie ein Vermächtnis - weil der Professor und "Malerfürst" den Mut hatte, sein Leid und seinen körperlichen Verfall wie beiläufig filmen zu lassen. Nur wenige bewegte Bilder zeugen vom früheren Lebemann in Leder - Mitte der 80er-Jahre hatte er auch auf dem Hamburger Hans-Albers-Platz als Betreiber der populären Kneipe La Paloma und mit einem Denkmal für den "blonden Hans" seine Spuren hinterlassen, später mit seinem Malerkollegen Markus Lüpertz Boxveranstaltungen einen eleganten Anstrich gegeben. Stattdessen erinnern sich Weggefährten wie eben Lüpertz und Jonathan Meese bewundernd an ihn, Gleiches gilt für seinen Arzt, und erstmals spricht seine Mutter Irene über Immendorff.

Fast amüsant wirken die Rückblenden in Schwarz-Weiß an den einstigen Provokateur und Joseph-Beuys-Schüler Ende der 60er-Jahre, teils beklemmend hingegen Immendorffs letzte Arbeiten im Atelier: Ìbellaunig bis herrisch befehligt der Perfektionist sein Heer von Assistenten, wie sie den Pinsel zu führen haben, derweil er mit letzter Kraft eine Zigarette zwischen zwei gelähmten Fingern hält. Bei der Ìbergabe des Gerhard-Schröder-Porträts für die Ahnengalerie des Bundeskanzleramtes steht der Porträtierte - obwohl längst a. D. - im Blitzlichtgewitter. Immendorff sitzt im Rollstuhl daneben, ein Beatmungsgerät führt ihm Luft zu. Ruckweise. Und doch hat er noch immer was zu erzählen, über die Einsamkeit des Künstlers etwa.

Das ist nicht nur bewegend, sondern spannend und aufschlussreich - fast schon ein Meisterwerk.

zurück zur Auswahl