Suizid einer Richterin
09.03.2011
Frankfurter Rundschau
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Der Mythos Kirsten Heisig
von Sabine Rennefanz
(...) Ihre Kollegen und Weggefährten macht der Suizid bis heute fassungslos. Der Neuköllner Bezirksbürgermeister Heinz Buschkowsky hat eng mit ihr zusammengearbeitet. Er hat nur eine Erklärung. „Es muss eine gespaltene Persönlichkeit gewesen sein“, sagt der SPD-Politiker in der Dokumentation „Tod einer Richterin“, die die ARD am Mittwoch zeigt. „Es muss zwei Kirsten Heisigs gegeben haben.“ Die eine, die sich mit kriminellen Clans anlegte, Eckkneipen liebte und auf die WM-Fanmeile rannte. Und die andere, dunklere Seite, die Frau mit den traurigen Augen, die immer dünner wurde, die sich in die Arbeit stürzte und über ihr Privatleben schwieg.
Muss man einen Film über ihr tragisches Leben drehen, so kurz nach einem Suizid? Bei jedem Selbstmord sind Journalisten zu Zurückhaltung verpflichtet. Es ist nicht leicht, sich daran zu halten, wenn das Interesse so groß und der Stoff so dramatisch wie im Falle von Kirsten Heisig ist. Für die Hinterbliebenen, die Töchter, den Mann, wird das schwer zu ertragen sein.
Die Autorinnen Nicola Graef und Güner Balci begannen sechs Wochen nach Heisigs Tod mit den Dreharbeiten. Güner Balci ist in Kirsten Heisigs Tätigkeitsfeld Neukölln aufgewachsen, hat die Probleme als Sozialarbeiterin erlebt. Für die Journalistin Balci war Heisig eine wertvolle Quelle.
Es ist den Autorinnen gelungen, den Verlockungen auf einen reißerischen Film zu widerstehen. Sie haben aus Archivmaterial und Interviews mit Wegbegleitern ein stilles, berührendes Porträt gedreht. 45 Minuten dauert der Film. Die Angehörigen tauchen darin nicht auf.
Kirsten Heisig (...) traf Polizisten, Bewährungshelfer, türkische und arabische Familien. Sie setzte sich für eine schnellere Verurteilung ein. Mit ihrem Hang zur klaren Sprache kam sie in die Talkshows. Sie genoss das, Kollegen im Gericht sind entsetzt. Richter haben sich zurückzuhalten.
Gegner kommen im Film nicht zu Wort, obwohl Heisigs Thesen umstritten sind. Sie wird zum Mythos stilisiert, zur Frau, die sich im Kampf gegen die Bürokratie verausgabte. Das hinterlässt, wenn es eine Kritik an dem Film gibt, einen Nachgeschmack. Es wirkt, als würde der Verstorbenen postum ein Denkmal gesetzt. Die Polizei habe alle Interviewanfragen abgelehnt, sagen die Autorinnen. Niemand wollte etwas Falsches sagen, niemand wollte die Tote schlecht reden. Die dunkle Seite, die Hinweise auf ihre seelische Not, werden im Film nur angedeutet. Man erfährt, dass Kirsten Heisig ein angespanntes Verhältnis zu ihren Eltern hatte. Dass sie unter der Trennung von ihrem Mann litt. Dass sie unter Erfolgsdruck stand.
Kirsten Heisig hat offenbar kaum über Privates geredet, sie wollte nicht schwach aussehen. Sie durfte nicht schwach aussehen. Sie war doch „Richterin Gnadenlos“. „Ich habe sie nie depressiv erlebt, sondern immer vorausschauend“, sagte Bürgermeister Buschkowsky. Bei einem Kollegen und Freund hat sie sich doch geöffnet: „Wir haben mal über Suizid gesprochen“, erinnert sich der Richter Andreas Müller. Die beiden ziehen oft durch die Kneipen. Sie würde Tabletten nehmen, hat sie gesagt.
2008 hat sie zum ersten Mal versucht, sich zu töten. Das wird erst nach ihrem Tod bekannt. „Ich habe eine Stunde geweint, weil Menschen wie sie nicht oft auf die Welt kommen“, schluchzt ein türkischer Vater in die Kamera. Ob Kirsten Heisig depressiv war, das bleibt während des Films in der Schwebe. (...) Für Rache- oder sonstige Verschwörungstheorien gibt es keine Belege, stellt der Film klar. Sie hat sich mit einem Seil erhängt, in ihrem Körper wurden eine Überdosis eines Antidepressivums gefunden. Auf ausführliches Zitieren aus dem Obduktionsbericht, der Mord ausschließt, verzichteten die Autorinnen dankenswerterweise.
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