Erstklassige Dokumentation zum Leben und Sterben der Richterin Kirsten Heisig Mutig bis in den Tod
09.03.2011
Osnabrücker Zeitung
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von Joachim Schmitz
Osnabrück. Kaum eine Juristin hat in den letzten Jahren in Deutschland mehr Aufsehen erregt als Kirsten Heisig. Und abgesehen von Robert Enke hat keine Selbsttötung mehr Rätsel aufgegeben als die der Berliner Richterin. Eine starke Dokumentation zeichnet jetzt Leben und Tod der Frau nach, die mit „Richterin Gnadenlos“, „Richterin Courage“ und „Schrecken von Neukölln“ in den Medien nur sehr unzureichend beschrieben wurde.
Gibran ist 16 und hat schon einiges erlebt, man könnte auch sagen: angerichtet. Und es fällt dem jungen Intensivtäter leicht, vor der Kamera sein Sündenregister aufzuzählen: Körperverletzung, räuberische Erpressung, illegaler Waffenbesitz, Betrug, Diebstahl, Hausfriedensbruch – „eben alles“. Gibran sagt über seine Richterin: „Wir haben sie gehasst, sie war für uns schlimmer als der Teufel.“
Kazim Erdogan ist Leiter einer türkischen Vätergruppe im Berliner Problembezirk Neukölln. Er hat den Freitod der Richterin ganz anders erlebt als Gibran: „Ich habe eine Stunde lang geweint. Ununterbrochen.“ Und fügt hinzu: „Sie ist für mich unsterblich.“ Mit tränenerstickter Stimme sagt ein anderer türkischer Vater: „Sie lebt noch immer in unseren Herzen.“ Von solchen Menschen „brauchen wir mehr“. Während sie vergeblich den Kontakt zu libanesischen Großfamilien suchte, konnte sich die Richterin den Respekt zahlreicher türkischer Familien erwerben.
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Die Dokumentation „Tod einer Richterin“ versucht eine Annäherung an den leuchtendsten Stern des deutschen Justizhimmels, dessen dunkle Seite auf mysteriöse Weise die Überhand gewann.
Heinz Buschkowsky ist als Bürgermeister von Neukölln eine Institution über die Grenzen von Berlin hinaus. (…) Und er überrascht im Film mit einer Erkenntnis, die bislang nur den wenigsten bekannt war: Schon 2008 hat Kirsten Heisig einen Selbstmordversuch unternommen. Als im vergangenen Jahr zu der enormen selbst auferlegten Arbeitsbelastung auch noch die Trennung von ihrem Mann, einem Staatsanwalt, hinzukam, wurde der Mutter zweier Kinder offenbar alles zu viel. Das hätte Buschkowsky nicht im Geringsten für möglich gehalten: „Ich habe sie nie depressiv erlebt, immer nur nach vorne schauend, experimentierfreudig, hoch engagiert, furchtlos.“ Zu spät erkannte er, dass er es mit einer Frau mit zwei Gesichtern zu tun hatte.
Nicola Graef und Güner Balci haben als Autorinnen dieses Films sechs Wochen nach dem Tod der Richterin mit der Arbeit angefangen und bis in dieses Jahr hinein gedreht. Balci hatte schon zwei „Panorama“-Beiträge über Kirsten Heisig gemacht und konnte daher auf umfangreiches Bildmaterial zurückgreifen. Die beiden Filmemacherinnen sprachen mit etlichen ihrer Wegbegleiter, stießen gelegentlich aber auch an ihre Grenzen: „Die Polizei hat sich komplett geweigert, ohne eine wirkliche Begründung zu nennen“, berichtet Graef im Gespräch mit unserer Zeitung. Und die Familie der Richterin sei gleich nach dem Tod hermetisch abgeschirmt worden, wofür sie vollstes Verständnis habe. Der Qualität ihres hervorragenden und bei aller Sachlichkeit spannenden Films tut dies keinen Abbruch.
Tod einer Richterin, ARD, Mittwoch, 9.3. 2011, 22.45 Uhr
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