Sind so harte Kinder
01.03.2011
Süddeutsche Zeitung
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Von CONSTANZE VON BULLION
von Constanze von Bullion
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Die Geschichte der Kirsten Heisig, das ist eine wie im Krimi, nur dass an ihrem Ende eben kein Plot steht wie im Film, eine Erklärung, die alle Fragen beantworten kann. Die Geschichte endet mit einem Selbstmord, mit einem echten, und er lässt das Publikum ratlos zurück. Das ist sozusagen das Problem.
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„Die Brutalität hat extrem zugenommen, besorgniserregend“, sagte Kirsten Heisig. Oder: „Es sind fast immer Waffen im Spiel, das heißt also Schlagringe, Baseballkeulen, da wird bevorzugt auf den Kopf geschlagen.“ Sätze sind das, die aus dem Film Tod einer Richterin stammen, den Güner Balci und Nicola Graef für den WDR gedreht haben und der an diesem Montag in Berlin vorgestellt wurde. Die Dokumentarfilmerinnen haben aus Archivmaterial und mit Hilfe etlicher Weggefährten von Kirsten Heisig ein liebevolles Porträt gedreht. In manchen Passagen gerät es fast zur Hommage an eine Frau, die sich verzehrt hat für ihre Sache. Dabei war diese Kirsten Heisig alles andere als unumstritten. Ihren Einsatz gegen Jugendgewalt sahen viele kritisch, ihre Auftritte in Talkshows gerieten gerade Kollegen im Gericht zu selbstgefällig. Eine Richterin habe neutral zu sein, fanden sie.
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„Richterin Gnadenlos“ hat man sie genannt, sie galt als hart und als verhasst bei jungen Delinquenten. Bis sie verschwand, im vergangenen Sommer, nach einer Sitzung im Gericht. Tagelang hat die Polizei nach ihr gesucht. Dann fand man sie, erhängt in einem Baum. Ein Tod war das, der für Entgeisterung gesorgt hat – und für Verschwörungstheorien. Heisig stand damals kurz vor der Veröffentlichung eines Buches, ihr „Neuköllner Modell“ schneller Ahndung von Jugendgewalt hatte in ganz Berlin Schule gemacht. Hatten jugendliche Kriminelle sie aus dem Weg geräumt? Oder Eltern von Jungs, die sie in den Knast geschickt hatte? Heisigs Verschwinden war und ist ein Stoff, der zu Skandalisierung taugt. Umso erfreulicher ist, dass die Filmemacherinnen vom WDR bei ihrer Spurensuche auf alles verzichtet haben, was die Spannung künstlich hochschraubt. In Tod einer Richterin gibt es keine dräuende Hintergrundmusik und keine sensationsheischenden Schnipsel von durchgedrehten Jugendlichen in Neukölln. Zu sehen sind leise Bilder einer Frau, die rastlos wirkt, zart, getrieben von einer Mission – und überraschend fröhlich. Keine „Richterin Gnadenlos“ also, das ist die Botschaft, sondern eine, die auszieht, die Migrantenmilieus ihrer Stadt wachzurütteln. Die Aufnahmen von Kirsten Heisig stammen aus älteren Dokumentationen, und es ist ihnen anzusehen, dass die Filmemacherinnen sie schon damals für eine Heldin des Alltags hielten. Sie verfahren milde mit ihrer Hauptdarstellerin, was zum einen daran liegen mag, dass Güner Balci selbst Sozialarbeiterin war und aus einer Zuwandererfamilie stammt, die Milieus also kennt – und wenig Grund sieht, sie zu beschönigen. Zum anderen aber haben die Filmemacherinnen keine Zeitzeugen vor die Kamera holen können, die Kirsten Heisig nicht mochten. Wer spricht schon kritisch über eine Frau, die sich das Leben genommen hat? Zu Wort kommen also diejenigen, die ihr nahe standen. Die Schriftstellerin Monika Maron, die sagt: „Sie war einzigartig.“ Oder Kazim Erdogan, der in Neukölln eine Vätergruppe leitet und sagt: „Sie ist für mich unsterblich.“ Ein Mann aus seiner Gruppe kämpft mit Tränen, als er über Kirsten Heisig spricht. Weil es so selten ist, dass sich mal jemand kümmert um die Misere. Das sind die bewegenden, überraschenden Momente des Films. Ansonsten regiert Ratlosigkeit. Warum Kirsten Heisig sich das Leben genommen hat, deutet der Film nur an. Aus Rücksicht auf die zwei halberwachsenen Töchter, die die Richterin zurückgelassen hat. Auch aus Sorge, mit Details über ihren Selbstmord zur Nachahmung zu animieren. So bleibt vage, was längst bekannt ist: dass die Richterin an Depressionen litt und der Obduktionsbericht an ihrem Selbstmord keinerlei Zweifel ließ. Weniger Diskretion und mehr Distanz hätten dem Film nicht geschadet – und der Verschwörungstheorie um den Tod der Richterin endlich ein Ende machen können.
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